Putins Bombengeschäft im Westen

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Putins Bombengeschäft im Westen

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Veröffentlicht von Jürgen Lessat in Russlands Ukraine-Krieg · 28 April 2022
Tags: Rosneft
Die Rufe nach einem russischen Gas- und Ölembargo halten an. In der Diskussion wird übersehen, dass Moskau die Energieversorgung hierzulande mitkontrolliert. Der staatliche Ölkonzern Rosneft hält Anteile an den größten Raffinerien Deutschlands, die Teil der kritischen Infrastruktur sind – und die in Zeiten explodierender Spritpreise besonders hohe Gewinne abwerfen.

Am 21. Februar diesen Jahres stattete der neue Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck (Grüne) dem Bundeskartellamt seinen Antrittsbesuch ab. „Neben dem persönlichen Kennenlernen gab es die Möglichkeit für einen vertieften Austausch zu aktuellen Herausforderungen des Amtes“, wird Behördenpräsident Andreas Mundt in der Mitteilung seines Amtes zitiert.

Über eine heikle Übernahme im Bereich kritische Infrastruktur unterrichtete der oberste Wettbewerbshüter der Republik seinen Dienstherrn offenbar nicht. Ohne großes Aufheben genehmigte Mundts Behörde am Tag von Habeck Visite der Moskauer Rosneft Oil Company, 37,5 Prozent der Anteile an der PCK Raffinerie GmbH im brandenburgischen Schwedt von der Shell Deutschland Oil GmbH zu übernehmen. Damit schickt sich der russische Staatskonzern an, 91,67 Prozent am drittgrößten Rohöl-Verarbeiter hierzulande zu kontrollieren. Bis dato hält die deutsche Rosneft-Tochtergesellschaft die Anteilsmehrheit von 54,17 Prozent.

„Die Erhöhung des Anteils an der PCK Raffinerie ist ein Beweis für die strategische Bedeutung, die der deutsche Markt für Rosneft besitzt“, so der Vorstandschef des Ölkonzerns Igor Setschin über die Aufstockung – dessen Genehmigung in der Branche mit ungläubigem Erstaunen aufgenommen wurde. „Seit Monaten gibt es doch Spannungen mit Russland“, so ein Insider. Seit März 2021 waren russische Truppen nahe der ukrainischen Grenze verlegt. Seit November warnte vor einem Einmarsch die Ukraine. Am selben Tag, als die Bonner Behörde ihr Go gab, anerkannte der russische Staatspräsident Wladimir Putin die selbsternannten Republiken im Donbass. Drei Tage später überfielen Moskaus Truppen die Ukraine.

Spätestens da schrillten in Berlin die Alarmglocken: Keine 24 Stunden nach Beginn des Angriffskriegs ließ Wirtschaftsminister Habeck ein Investitionsprüfverfahren einleiten. Mit einem ähnlichen Schachzug hatte sein Ministerium wenige Tage zuvor die Inbetriebnahme der russischen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 auf Eis gelegt. Nun prüft erneut das Bundeskartellamt, ob der Erwerb der PCK-Anteile durch Rosneft die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet. Auf Anfrage teilt Habecks Pressesprecherin nur schmallippig mit, dass man sich „aus Gründen des Datenschutzes nicht zu laufenden oder möglicherweise in Aussicht stehenden Investitionsprüfverfahren“ äußere.*

Die Rosneft Deutschland GmbH ist das drittgrößte Unternehmen in der Mineralölverarbeitung und einer der wichtigsten Großhändler in Deutschland. Die verarbeitete Menge beträgt rund 12,5 Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr, was mehr als 12 Prozent der Verarbeitungskapazität in der Bundesrepublik ist. In den vergangenen Jahren liefen nicht nur rund ein Viertel der Rohölimporte über das Unternehmen. Es ist sowohl für Belieferung von Raffinerien mit Rohöl als auch für den Vertrieb der Mineralölprodukte verantwortlich.

Seine Marktposition verdankt Rosneft der Beteiligung an den wichtigsten Rohöl-Verarbeitern im Land. Die größte Investition ist die PCK-Raffinerie in Schwedt. Sie stellte bereits die Erdölversorgung der DDR sicher. PCK stand für Petrolchemisches Kombinat. Heute verarbeitet das Unternehmen jährlich rund 12 Millionen Tonnen Rohöl zu Benzin, Diesel, Heizölen, Flüssiggas, Bitumen, Kerosin und Schwefel. Es beschäftigt rund 1200 Menschen direkt sowie 2000 weitere bei Zulieferern. An der Raffinerie endet der 5327 Kilometern lange Nordstrang der Druschba-Pipeline aus dem Ural, durch den ein Großteil der zuletzt jährlich 27,7 Millionen Tonnen Rohölimporte aus Russland fließt.

Die PCK hält Beteiligungen an zwei Ölfirmen in Ostdeutschland, der Mineralölverbundleitung GmbH Schwedt (MVL) und an der PCK & elf Tanklagerbetrieb Seefeld GbR (PETS). Deren Geschäftszweck ist Transport, Umschlag und Lagerung von Rohöl und Kraftstoffen über Pipelines. Dazu betreiben die Unternehmen in Schwedt und Werneuchen große Tanklager, die über Pipelines mit der PCK Raffinerie und der TOTAL Raffinerie Mitteldeutschland in Spergau verbunden sind. Zudem gehören zur PCK ein Rohöltanklager und ein Pier im Ölhafen Rostock sowie eine Sonderabfallanlage. „Wir bewegen Berlin und Brandenburg“, verkündet PCK auf seiner Internetseite stolz, dass man 90 Prozent der Versorgung mit Treib- und Brennstoffen in diesem Teil der Republik sicherstelle.

Daneben besitzt Rosneft 24 Prozent an der Mineralölraffinerie Oberrhein (MiRo) in Karlsruhe, der größten Raffinerie Deutschlands. Für ihre Gesellschafter, zu denen die niederländisch-britische Shell (32,25 Prozent) sowie die US-Konzerne Exxon (25 Prozent) und ConocoPhillips (18,78 Prozent) gehören, veredeln 1100 Mitarbeiter jährlich rund 14 Millionen Tonnen Rohöl. Das Tanklager der MiRO ist das größte bundesweit. „Dadurch können wir Verbrauchsschwankungen problemlos ausgleichen und die Verbraucher jederzeit mit den wichtigsten Mineralölprodukten versorgen“, verspricht die Raffinerie, die für Südwestdeutschlands die wichtigste Mineralöl-Versorgungsquelle ist.

Mit einem Anteil von 28,57 Prozent ist Rosneft zudem zweitgrößter Gesellschafter der Bayernoil GmbH in Neustadt und Voßburg an der Donau, die jährlich 10,3 Millionen Tonnen Rohöl verarbeitet und 900 Beschäftigte hat. Die Mehrheit hält mit 51,43 Prozent die VARO Energy, ein Joint Venture der holländischen Vitol-Gruppe und des US-Unternehmens Carlyle Group. Dritter im Gesellschafterkreis ist die deutsche Tochter des italienischen Energiekonzerns Eni mit 20 Prozent.

Die Rosneft Oil Company wurde 1992 als staatliche Ölgesellschaft gegründet. Im Zuge der Privatisierungspolitik war sie ursprünglich eine Art „Auffangbecken“ für jene Teile der sowjetischen Ölindustrie, die sich nicht private Energiekonzerne einverleibten. Nach 1998 wurde der Konzern reorganisiert und vergrößerte sich durch Übernahme russischer Konkurrenten wie „Jukos“, der dem bei Putin in Ungnade gefallen Oligarchen Michail Chodorkowski gehörte. Nach eigenen Angaben ist der Rosneft heute führend auf dem russischen Mineralölmarkt und das weltweit größte börsennotierte Öl- und Gasunternehmen. Sein Anteil am globalen Erdölmarkt beträgt sechs Prozent, die Mineralölproduktion belief sich auf 256,2 Mio. Tonnen Öläquivalent im Jahr 2020.

Das Unternehmen ist russischer Marktführer in der Rohölraffination, verfügt über 13 Raffinerien in Russland und ist an fünf Raffinerien im Ausland beteiligt. Darüber hinaus betreibt Rosneft ein Einzelhandelsnetz aus 3.057 Tankstellen. Im Bereich der Erdgasförderung zählt Rosneft derzeit zu den Marktführern unter Russlands unabhängigen Produzenten. Im Jahr 2020 belief sich die Gasproduktion auf mehr als 62,8 Milliarden Kubikmeter. 2011 stieg Rosneft über ein Joint Venture mit BP in den deutschen Markt ein. Im Jahr 2017 nahm die Rosneft Deutschland GmbH ihr Raffinerie- und Vermarktungsgeschäft in Deutschland auf.

„Betrachtet man die Entwicklung von Rosneft, dann erscheint es als Hybrid aus politischem Apparat und Wirtschaftsunternehmen“, urteilt die Bundeszentrale für politische Bildung. Geführt wird der Konzern seit Anfang 2018 von einem elfköpfigen Vorstand mit dem Putin-Vertrauten Igor Setschin als CEO. An der Spitze des ebenfalls elfköpfigen Aufsichtsrats steht seit September 2017 Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), Stellvertreter ist Setschin. Seit Juni 2021 sitzt auch die österreichische Ex-Außenministerin Karin Kneissl in dem Gremium. Schlagzeilen machte Kneissl 2018, als sie auf ihrer Hochzeit mit Russlands Präsident Putin tanzte, der als Ehrengast dabei war. Putin soll ihr damals Schmuck im Wert von 50 000 Euro geschenkt haben. 2020 arbeitete Kneissl für den russischen Propagandasender RT.

Rosneft zeigt beispielhaft, dass Russland nicht nur fossile Rohstoffe nach Deutschland exportiert, sondern über russischen Staatskonzerne hierzulande auch Verteilung, Verarbeitung und Handel der Energieträger kontrolliert. Damit sitzt Russlands Staatspräsident Wladimir Putin indirekt an wichtigen Schalthebeln kritischer Infrastruktur. Sollte der Kriegsherr auf die Sanktionen des Westens mit Gegenmaßnahmen reagieren, könnte die deutsche Rosneft-Tochter eine Rolle dabei spielen – indem sie die Produktion und Handel von Treibstoffen und Mineralprodukten zurückfährt.

Autofahrer könnten in diesem Fall nicht nur direkt durch Lieferausfälle von Benzin und Diesel betroffen sein. Zu spüren wäre dies möglicherweise auch im Straßenbau, da der Konzern seit 2018 industriellen Bitumen an mehr als 130 Asphaltmischanlagen im deutschsprachigen Raum liefert. Auch der Flugverkehr könnte beeinträchtigt werden, da Rosneft seit 2019 Flugbenzin vertreibt. Einer der Hauptabnehmer war bislang die russische Staatsflugline Aeroflot am Flughafen in Berlin-Schönefeld. Vor dem EU-Flugverbot betankte Rosneft jeden dritten Passagierlinienflug ab Berlin. Daneben versorgt das Unternehmen Fluglinien an den Flughäfen München, Nürnberg und Stuttgart. Nach Informationen von „neue energie“ haben Airlines inzwischen Lieferverträge gekündigt. Seit Ende März betankt Rosneft keine Flugzeuge mehr am Stuttgarter Airport.

Die Einnahmeverluste kann Rosneft verschmerzen, da das Geschäft mit Benzin, Diesel und Heizöl bei PCK, MiRo und Bayernoil floriert. Laut dem Portal Benzinpreis.de machten Rosneft und andere Ölkonzerne durch die Preisexplosionen seit Beginn des Ukraine-Krieges ein Bombengeschäft. Die Gewinnmarge erreichte am 16. März mit 61,62 Cent pro Liter Superbenzin ein Rekordniveau. Mit 75,66 Cent lag der Überschuss nach Rohöl und Steuern beim Diesel sogar noch höher. „Es darf nicht sein, dass Unternehmen aus der jetzigen Situation unangemessene Gewinne schlagen“, drohte Wirtschaftsminister Habeck gesetzliche Regulierungen an.

„Aktuell profitieren diejenigen von extremen Preissteigerung, die relativ günstig gewonnene Energie angesichts der aktuellen Lage für viel Geld verkaufen und faktisch Kriegsgewinne machen“, erläutert Habecks Sprecherin Susanne Ungrad. „Wir prüfen in der Bundesregierung, wie hiermit umzugehen ist und ob diese Übergewinne oder Zufallsgewinne der Allgemeinheit zugutekommen könnten“, ergänzt sie. Bislang gab es hierzu noch kein Ergebnis. „Es gibt eine laufende Diskussion und Prüfung. Eine Entscheidung dazu muss rechtssicher sein“, so Ungrad. „Zum Thema kritische Infrastruktur sind wir derzeit mit der Bundesnetzagentur und der Wirtschaft im engen Austausch“, ergänzt sie.*

Rosneft Deutschland war nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

* Dieser Text erschien in leicht gekürzter Version in der April-Ausgabe des Magazins "neue energie" (mit Recherchestand vom 28. März 2022).
Am 27. April 2022 hat Bundeswirtschaftsminister Habeck auf Twitter erläutert, dass die russischen Ölimporte über die Druschba-Pipeline zur Rosneft-Raffinerie in Schwedt durch Öllieferungen mit Tankschiffen über den Rostocker Hafen ersetzt werden.
Bildnachweis: Ralf Roletschek - Eigenes Werk, GFDL 1.2, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69756410







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