Sahara im Südwesten?

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Sahara im Südwesten?

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Veröffentlicht von Jürgen Lessat in Klimakrise · 14 Juni 2022
Tags: Wasserknappheit.Klimawandel
Bereits im Frühjahr herrschte in Baden-Württemberg hohe Waldbrandgefahr. Beschert die Klimakrise uns wieder ein Dürrejahr? Klimamodelle erwarten feuchtere Winter und trockenere Sommer. Während Trinkwasser weiter fließen dürfte, droht Wäldern und Landwirtschaft mehr Trockenstress.

Die Warnung kam in diesem Jahr besonders früh: "Im ganzen Land herrscht hohe Waldbrandgefahr", mahnte Mitte März Peter Hauk (CDU), baden-württembergischer Minister für Ländlichen Raum, zur Vorsicht. Null Niederschlag über Wochen, dafür reichlich Sonnenschein und Wind hatten Wälder und Flure so stark ausgetrocknet, dass mancherorts nur ein Funke genügte, um Laubreste oder Nadelstreu in Brand zu setzen. Landesweit mussten Feuerwehren ausrücken, um Buschbrände zu löschen. Etwa zur Insel Reichenau, wo ein großflächiger Schilfbrand loderte.

Wird dieses Jahr wieder ein Dürrejahr, so wie schon 2018, 2019 und 2020? Beschert uns die Erderwärmung in diesem Sommer wieder unerträgliche Hitze und kaum Regen? "Der Klimawandel ist kein Phänomen der Zukunft, sondern wir leben bereits seit Jahrzehnten mit ihm. Seine Auswirkungen sind in Baden-Württemberg deutlich spürbar", sagt Bettina Jehne, Sprecherin des Stuttgarter Umweltministeriums. Seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen 1881 hat sich die Jahresdurchschnittstemperatur im Südwesten bereits um 1,4 Grad erhöht.

Und es wird noch wärmer: Nach regionalen Klimamodellen steigt die Temperatur bis 2050 um ein Grad weiter – aber nur, wenn der weltweite Treibhausgas-Ausstoß in Zukunft deutlich sinkt. Hält der weltweite Trend an, nämlich immer mehr Kohle, Öl und Gas zu verbrennen, projizieren die Modelle bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung um 3,5 bis 4,5 Grad in ganz Deutschland im Vergleich zum Zeitraum von 1971 bis 2000. Generell zeigen die Berechnungen, dass es von Nordwesten nach Südosten wärmer wird.

Beim Niederschlag kommen die Modelle zu weniger eindeutigen Ergebnissen. Die Klimasignale sind unterschiedlich stark, ihre Richtungssicherheit ist geringer, heißt es übereinstimmend aus dem Umwelt- und Landwirtschaftsministerium in Stuttgart. Die künftige mittlere Jahressumme an Regen streut zwischen "unverändert" und plus zehn Prozent bis Mitte des Jahrhunderts. Für die ferne Zukunft erwarten die Klimarechnungen um bis zu 15 Prozent mehr Niederschlag, wobei dieser regional unterschiedlich fallen wird.
Mehr Regen im Winter, weniger im Sommer
Also doch keine Sahara im Südwesten? Antwort: Man weiß es nicht. Denn die Projektionen deuten an, dass sich die Niederschläge zeitlich verschieben werden. "Langfristig ist wahrscheinlich damit zu rechnen, dass die Niederschlagsmenge im hydrologischen Winterhalbjahr zu- und im Sommerhalbjahr abnimmt", so Sebastian Schreiber, Sprecher von Minister Hauk. Will heißen: In Zukunft sind im Winter und nicht wie bisher im Sommer die meisten Niederschläge zu erwarten. "Das könnte im Sommer voraussichtlich zu mehr Trockenheit führen und im Winter das Risiko von Überschwemmungen erhöhen", erläutert Schreiber. Zudem steige die Anzahl der Tage mit Starkniederschlägen sowie deren Niederschlagsmenge: von heute im Mittel 3,6 Tagen auf 4,3 Tage in naher und 4,5 Tage in ferner Zukunft, ergänzt er.

"Von den langfristigen Änderungen der wichtigsten meteorologischen Kenngrößen sind der Wasserhaushalt, die Gewässerökologie und davon abhängig auch die Wasserwirtschaft auf vielfältige Weise betroffen", betont Bettina Jehne. Das Spektrum reiche dabei von "zu wenig" bis "zu viel". Sprich: von Wassermangel bis zu Hochwasser. Grundsätzlich müsse man damit rechnen, dass diese Extreme künftig zunehmen werden. Wen sie treffen werden, ist kaum zu sagen. "Je kleiner die Skalierung, desto schwieriger akkurate Vorhersagen", so Jehne. Es sei davon auszugehen, dass alle Regionen von Veränderungen in der Wasserverfügbarkeit betroffen sind und sein werden. "Lokaler Starkregen etwa kann überall auftreten und große Schäden anrichten." Gleiches gelte für lange Trockenperioden und damit fallende Wasserstände in Grund- und Oberflächengewässern.

Bislang gilt Baden-Württemberg als wasserreiches Land. Der Bodensee ist mit einer Fläche von 535 Quadratkilometern der drittgrößte See Mitteleuropas. Daneben gibt es rund 4.500 natürliche und künstliche Seen mit zusammen zusätzlichen 127 Quadratkilometern Wasserfläche. Fließgewässer mit einer Länge von rund 38.000 Kilometern durchziehen das Land, mit Rhein, Neckar und Donau als größten Flüssen. Zählt man das potentiell nutzbare Wasser – Grundwasser, Oberflächengewässer, Niederschläge – zusammen, stehen jährlich etwa 49 Milliarden Kubikmeter Wasser zur Verfügung– so viel wie den Bodensee füllt. Zehn Prozent davon werden genutzt: als Trinkwasser (davon 75 Prozent aus Grundwasser), als Kühl- und Produktionswasser in Industrie und Gewerbe, zur Stromproduktion und zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen.

Noch tangiert die Klimakrise die Wasserreservoire im Land kaum. Die Grundwasserüberwachung der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) zeigt in den zurückliegenden zwanzig Jahren überwiegend ausgeglichene Trends. Lediglich in einzelnen Regionen wie Ostalb und Kraichgau sinken die Pegel geringfügig. In den südöstlichen Landesteilen, insbesondere im Iller-Riß-Gebiet, steigen sie. Leicht positiv ist der Trend auch im Donauried, wohl aufgrund rückläufiger Grundwasserentnahmen. Auch im Oberrheingraben erholen sich die Grundwasserstände. "Im Markgräflerland und insbesondere im nördlichen Oberrheingraben sind besonders markante Zunahmen zu verzeichnen, auch hier möglicherweise durch rückläufige Förderungen", erläutert Schreiber. Bei den Quellen im Land halten sich Zu- und Abnahmen im Abfluss ebenfalls in etwa die Waage.

Für die Wälder wird es kritisch

Nichtsdestotrotz traten im Hitzejahr 2018 erstmals Engpässe bei der Trinkwasserversorgung auf. Probleme gab es in einzelnen Kommunen mit wenig ergiebigen Wasservorkommen und fehlenden Verbundlösungen mit Nachbarkommunen. Private Eigenwasserversorger, deren Quellen versiegten, mussten zeitweilig mit Tankwagen versorgt werden. Betroffen waren vor allem die höheren Lagen des Schwarzwaldes.

Kritischer sieht es schon heute in der Wasserversorgung der Vegetation aus. Die Wälder in Baden-Württemberg befinden sich nach den heißen und trockenen Jahren 2018, 2019 und 2020 in besorgniserregendem Zustand. Die jährliche Waldzustandserhebung, die den Vitalitätszustand der Forste beschreibt, belegte für 2020 das höchste Schadniveau seit Beginn der Erhebung in 1985: mit 46 Prozent wies fast die Hälfte aller Bäume deutliche Schäden auf. Als häufigste Ursache wurde Trockenstress und nachfolgender Insekten- oder Pilzbefall festgestellt. Längst ist nicht mehr nur die häufigste Baumart Baden-Württembergs betroffen, die flachwurzelnde und für Borkenkäferbefall anfällige Fichte. Auch die anderen Hauptbaumarten Tanne, Buche und Eiche weisen in den letzten Jahren erhöhte Schädigungen auf.

Der niederschlagsreiche Sommer 2021 ließ die Wälder im Südwesten aufatmen. Die Waldböden füllten sich wieder bis in tiefere Bodenschichten mit Wasser auf, was den Bäumen eine ausreichende Wasserversorgung für die Photosynthese bot. Als Ergebnis verringerte sich 2021 die mittlere Kronenverlichtung (messbarer Verlust von Nadeln beziehungsweise Blättern) aller Waldbäume leicht um 1,6 Prozent auf 26,6 Prozent. Der positive Trend zeigte sich sowohl bei den Laubbäumen Buche, Esche und Bergahorn als auch bei den Nadelholzarten Fichte, Kiefer und Douglasie. Der Zustand von Tanne und Lärche sowie der Eichen verschlechterte sich dagegen leicht. "Jedoch sind nach wie vor 42 Prozent der Waldfläche in unserem Land deutlich geschädigt", heißt es im jüngsten Waldzustandsbericht.

Untersuchungen an der Freiburger Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt zeigen, dass der Wassermangel der Wälder bereits seit 1990 zugenommen hat. Modellierungen auf Basis von Klimaprojektionen sagen für die Zukunft weitere regional unterschiedliche Veränderungen im Wasserhaushalt der Bäume voraus. Geht die Erderwärmung ungebremst weiter, so ist auch in derzeit noch klimatisch begünstigten und damit gut wasserversorgten Regionen mit spürbarer Verschärfung des Trockenheitsrisikos zu rechnen, so ein Ergebnis. Obwohl es noch Forschungsbedarf gibt, "zeichnet sich dennoch ab, dass die drastischen Veränderungen der klimatischen Bedingungen möglicherweise ebenso drastische Konsequenzen für die Zusammensetzung und den Aufbau unserer Wälder haben könnten", schreiben die Autoren um die Forstwissenschaftlerin Heike Puhlmann in einem aktuellen Fachaufsatz. Für die derzeitigen Hauptbaumarten Buche, Fichte, Weißtanne und Traubeneiche könnte es bis zum Ende des 21. Jahrhunderts hierzulande dann zu heiß und zu trocken sein.
Humusreiche Böden als Wasserspeicher
Betroffen von der Klimakrise ist auch die Landwirtschaft. "Beim Anbau herkömmlicher Kulturpflanzen wird größtenteils mit zunehmendem Wassermangel und Hitzebelastung, in ferner Zukunft auch mit Ertragsausfällen zu rechnen sein", sagt Schreiber. Besonders gefährdet seien Regionen mit relativ vielen Hitzetagen wie der Oberrheingraben. Anpassungsfähiger an Trockenheit ist extensives Grünland, also Land ohne Pflanzenschutzmittel und wenig Dünger, ebenso Pflanzen subtropischer Herkunft wie Mais und Soja. "Aber auch diese geraten bei hohen Temperaturen in empfindliche Phasen und bei Trockenheit an ihre Grenzen", so Ministeriumssprecher Schreiber. Ernteverluste drohten auch im Freilandanbau von Gemüse und Zierpflanzen, wenn Bewässerungssysteme und Wassermenge nicht mehr ausreichen, um zu wenig Wasser in heißen Sommern auszugleichen.

Je knapper das Wasser wird, umso wichtiger werden effiziente und an die natürlichen Wasservorkommen angepasste und umweltgerechte Systeme der Wasserbereitstellung. "Die gezielte Bewässerung landwirtschaftlicher Kulturen wird zunehmen müssen, um weiterhin hoch qualitative und regional produzierte Lebensmittel erzeugen zu können", erwartet das Agrarministerium. Allerdings verlangt dies von den Betrieben meist massive Investitionen – die sich wiederum in höheren Preisen für Verbraucher niederschlagen werden.

Mit dem Förderprogramm 'Gemeinschaftliche Bewässerungsinfrastruktur' unterstützt das Ministerium für Ländlichen Raum bereits Pilotvorhaben für gemeinschaftlich organisierte Lösungen zur Wasserentnahme, Wasserspeicherung und Verteilung bis zum Feldrand. Daneben sollen wassersparende Landnutzungskonzepte helfen, die knappe Ressource Wasser effizienter zu nutzen. "Dafür muss auf Ackerflächen zuallererst der Humus erhalten werden", erläutert Schreiber. Zwischenfruchtanbau, organischer Wirtschaftsdünger oder das Belassen von Ernteresten auf dem Feld erhalten oder steigern den Humusgehalt, was wiederum die Wasserkapazität erhöht und die Erosionsanfälligkeit des Bodens senkt.

Dieser Text erschien zuerst am 27.04.2022 in Kontext:Wochenzeitung




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