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Veröffentlicht von Jürgen Lessat in Energie · 21 Dezember 2020
Tags: AtomkraftZDFFunkPropaganda
Zielgruppe junge Zuschauer: Das ZDF veröffentlicht auf einem Online-Kanal ein hippes Video, das Atomkraft zum Retter des Weltklimas verklärt. Kritiker sprechen von einem Propagandafilm der Nuklearindustrie.

Hey, es ist schon richtig cringy, wie wir im Sommer schwitzen. Während abgespacede Käfertiere Deutschlands Wälder dissen. Da helfen auch ein paar Windrädchen und Solarparks nichts mehr. Aber Leute, jetzt chillt erst mal. Denn es gibt eine Lösung, wie wir den Klimanotstand noch handeln. Mit cooler Atomkraft, Alter!

So in etwa könnte der Inhalt eines Videos in der Sprache der Jugendlichen lauten, das vor kurzem im Netz viral ging. „Atomkraft vs Klima. Brauchen wir Atomkraft, um den Klimawandel zu stoppen?“, fragt das quitschbunte Animationsfilmchen, zumindest anfangs noch scheinbar unvoreingenommen. Um nach etwas mehr als elf Minuten mit einem klaren Ja als Antwort zu enden. „Die Zahlen legen nahe, dass wir Atomkraft brauchen“, verkündet der Off-Ton. Und: „Ohne Atomkraft können wir den Klimawandel nicht stoppen.“

Über eine halbe Million Mal wurde der Beitrag bislang allein auf YouTube angeklickt, seit ihn „Dinge erklärt – Kurzgesagt“ Mitte November online gestellt hat. Das Angebot, das man auf den Plattformen Facebook, Snapchat, Instagram und in der WebApp von funk.net findet, bezeichnet sich selbst als Wissenschaftskanal. Auf ihm wird alle zwei Wochen ein animiertes Erklärvideo zu Themen aus Weltraumforschung, Physik, Biologie, Politik, Philosophie oder Technik hochlädt. Die Werke werden im Auftrag des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) produziert. Genauer gesagt für „funk“, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, das Online-Inhalte für 14- bis 29-Jährige bietet.

„Hier wird Wissenschaft immer einfach erklärt, liebevoll illustriert und aufwändig animiert“, verspricht „Dinge erklärt – Kurzgesagt“ nach eigener Darstellung. Man arbeite mit einem „internationalen Netzwerk an Wissenschaftler*innen und Forscher*innen zusammen, um bei den neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse so aktuell wie möglich zu sein.“ Und weiter: „Egal ob es um Stringtheorie, Neutronensterne oder Atombomben geht: Alles wird für Laien verständlich, humorvoll und spannend aufgearbeitet ohne dabei zu sehr zu vereinfachen.“

Neben Infografiken gibt es da auch jede Menge Easter Eggs. Darunter verstehen Filmemacher keine Ostereier, sondern diejenigen Sequenzen und Szenen, die „ganz unabhängig vom eigentlichen Handlungsstrang des Filmes eine versteckte Message teils offensichtlich, teils ganz unterschwellig an den Zuschauer bringen“, definiert etwa das Portal „Film.tv“ den Begriff. Eingesetzt haben die Macher von „Atomkraft vs. Klima“ dies ausgiebig. Die Botschaft, dass nur mit Atomenergie die Erderwärmung zu stoppen ist, verfängt beim Publikum. „Ich finde das Video super. Atomkraftwerke haben ihre Macken und Schäden. Es ist mit Atomkraftwerken schon vieles schlimmes passiert. Aber sie bringen weniger Leid als Kohlekraftwerke. Die den Klimawandel wachsen lassen“, schreibt eine Kommentatorin. „Eigentlich sollte man dafür sorgen, dass jedes eurer Videos im Fernsehen, in der Schule, an Unis, wo auch immer gezeigt wird, denn es gibt wenig was in Zeiten wie diesen so wichtig ist wie eure Aufklärungsarbeit“, lobt ein anderer.

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Dabei lässt die Kurzgesagt-Redaktion auf YouTube selbst keinen Zweifel, wie sie Atomkraft sieht: als Heilsbringer, ja bitte. „Das Thema ist kontrovers diskutiert, aber wir finden, dass wenn man alle Fakten in Betracht zieht, die Atomenergie mit all ihren Problemen derzeit ein kleineres Übel ist als massive Luftverschmutzung und ein ungebremster Klimawandel durch fossile Brennstoffe“, schreibt sie. Nach mehreren Monaten Arbeit und Recherche sei man zu diesem Schluss gekommen, und verweist auf eine umfangreiche Quellensammlung.

So fand man eine „ganze Menge Literatur“, welche Rolle Kernenergie beim Klimawandel spielt. „Energieszenarien mit oder ohne sie sind von Experten recht ausführlich untersucht worden“, heißt es. Demnach gebe es „eine ganze Reihe von Befürwortern, einige sind alle mit der Kernenergie einverstanden, andere sind vorsichtiger in Bezug auf die Risiken und Sicherheitsfragen“. Die Quellensammlung führe einige Beispiele positiver Meinungen zur Kernenergie an.

Tatsächlich stehen auf dieser Seite Dutzende Links zu renommierten Instituten, die den globalen Energie- und Elektrizitätsmarkt sowie die Folgen für das Weltklima untersuchen. Jedoch nur drei der Quellen beleuchten konkret Nuklearenergie im Kontext mit dem Klimawandel. Zwei der betreffenden Studien wurden am Department of Nuclear Science and Engineering des MIT (Massachusetts Institute of Technology, USA) angefertigt. Beide kommen zum erwartbaren positiven Ergebnissen. Als dritte Quelle zitiert die Redaktion die amerikanische Union of Concerned Scientists: „Kohlenstoffarme Elektrizität, die von den bestehenden Kernkraftwerken geliefert wird, wird für den Kampf gegen den Klimawandel immer wertvoller.“

Das sagt aber nicht alles. Die Vereinigung betont auch, dass Kernkraftwerke ein Sicherheitsrisiko für atomare Unfälle sind: „Die USA haben viel in die nukleare Sicherheit nach Fukushima investiert, aber es bleibt unklar, wie wirksam diese Investitionen waren.“ Zugleich betonen die Wissenschaftler, dass viele Atomkraftwerke in den USA inzwischen unwirtschaftlich sind, weil Wind- und Solaranlagen heute günstiger Strom produzieren. Hiesige Publikationen finden sich in der Quellensammlung erst gar nicht. Kurz mal gegoogelt, und schon erscheint „Zu teuer und gefährlich: Atomkraft ist keine Option für eine klimafreundliche Energieversorgung“ vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ganz oben in der Trefferliste.

„Atomenergie ist überflüssig. Wir können wie beschlossen die letzten Atomkraftwerke abschalten und in den nächsten 18 Jahren schrittweise aus der Kohle aussteigen. Deutschland hat genug erneuerbare Energie“, widerspricht Studien-Mitautorin Claudia Kemfert dem Funk-Video. Atomenergie sei zudem mehr als doppelt so teuer wie erneuerbare Energien. Die Kosten der Müll-Endlagerung und des AKW-Rückbaus gigantisch. „Die Kosten einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien liegen deutlich unter denen von konventionellen Energien“, betont die Professorin, die der DIW-Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt leitet.

Zudem ist Atomkraft eine risikoreiche Technologie, welche die Gefahr eines Super-GAUs, Umwelt- und Gesundheitsschäden mit sich bringt. Erneuerbare Energien hingegen sind umwelt- und klimaschonend, sieht sie Atomenergie als Technologie ohne Zukunft.
Dessen ungeachtet malt das bunte Animationsfilmchen Atomkraft in rosaroten Farben. Nuklearkatastrophen wie in Fukushima und Tschernobyl werden zu „Betriebsunfällen“ umgetauft. Die ungeklärte Frage, wie und wo tödlicher Strahlenmüll eine Million Jahre sicher zu lagern ist, wird als „Problem“ verniedlicht. Und wem diese Lobhudelei nicht geheuer ist, dem kündigen die Autoren „vielversprechende neue Konzepte“ an. Ohne zu sagen, welche dies sind.

„Der Film ist ein einziger Werbespot“, kritisiert auch Axel Mayer von der Mitwelt Stiftung Oberrhein. Wichtige Aspekte würden gezielt verschwiegen und eine Hochrisikotechnologie mit vorgeschobenen Öko-Argumenten schöngefilmt. „So etwas nennt sich Propaganda und Greenwashing“, verweist der ehemalige Freiburger BUND-Geschäftsführer auf Berechnungen der Energy Watch Group. Um mit Atomenergie nur zehn Prozent der heutigen globalen CO2-Emissionen bis 2050 zu senken, müssten demnach bis dahin 2184 neue Atomkraftwerke gebaut werden. „Also müssten jeden Monat etwa acht neue Atomkraftwerke ans Netz gehen“, so Mayer.

Auf Anfrage bestreitet eine ZDF-Sprecherin, dass das Video Werbung für Atomkraft macht. „Es wird gesagt, dass ein Übergang in ein Zeitalter emissionsarmer Energiegewinnung am besten funktioniert, wenn man alle Möglichkeiten nutzt. In dem Stück wird argumentiert, dass dazu auch eine Nutzung von Atomkraft mit Augenmaß gehöre“. Keinesfalls werde der Atomausstieg hierzulande angezweifelt oder gefordert, veraltete Kernkraftwerke am Netz zu belassen. „Das Video basiert auf wissenschaftlichen Quellen, die alle in der Infobox des Videos transparent aufgeführt sind“, beharrt sie. In den Kommentaren auf YouTube habe sich um die Interpretation der Zahlen schon eine lebhafte Diskussion entwickelt. „Genau diesen Denkanstoß wollte "Kurzgesagt – Dinge erklärt" mit dem Beitrag geben“, sagt sie.
Ganz anderer Meinung ist Axel Mayer. „Der Propaganda-Film will ein veraltetes System der Stromerzeugung und des Wirtschaftens weiter künstlich am Leben erhalten“, betont er. Tatsächlich finden sich auf einschlägigen Seiten begeisterte Kommentare zum Video. „Irre: Funk, ein Youtube-Kanal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, hat einen sympathischen PRO-Kerkraft-Clip produziert!“, jubelt eine Aktivistin vom Verein Nuklearia, der für eine „moderne und sichere Kernenergie“ trommelt.

„Die angebliche Atom-Renaissance ist ein Mythos“, betont auch Kemfert, „nur wenige Länder bauen mit gewaltigen Subventionen neue Kernkraftwerke.“ Eine Partizipation der Bevölkerung finde dabei nicht statt. „Atomenergie wird immer dann als angeblicher Heilsbringer vorgebracht, wenn geostrategische Gründe eine Rolle spielen und wenn es ökonomische Interessen seitens Unternehmen oder Investoren gibt. Sie dient oft allein der Sicherung macht- und geopolitischer Stärke. Erneuerbare Energien hingegen stärken Demokratie, Partizipation und Wohlstand“, unterstreicht die Wissenschaftlerin. „Die Energiewende ist ein Friedensprojekt.“
Titelbild: ZDF / Funk
YouTube-Kanal (unten): Dinge Erklärt – Kurzgesagt
Hinweis: Dieser Text erschien zuerst auf www.kontextwochenzeitung.de



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