Impfverweigerer und das Geld der Anderen

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Impfverweigerer und das Geld der Anderen

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Veröffentlicht von Jürgen Lessat in Corona-Pandemie · 25 November 2021
Tags: CoronaImpfungBehandlungskosten
Die vierte Welle der Corona-Pandemie kostet Gesundheit und Leben – und die Steuerzahler viel Geld. Die Solidargemeinschaft bezahlt die Behandlung von infizierten und erkrankten Impfverweigerern mit Milliarden.

Inzidenzen schießen in die Höhe. Intensivstationen sind an der Grenze. Infizierte sterben täglich zu Hunderten. Die vierte Corona-Welle überrollt Deutschland. Warum? Weil Schauspieler Jan-Josef Liefers, die Springer-Medien "Bild" und "Welt" sowie FDP-Vize Wolfgang Kubicki voreilig das Ende der Pandemie – den "Freedom Day" – ausriefen?

Schwurbelei, Medien-Populismus und Politikversagen haben das Infektionsgeschehen mitbefeuert. Man hätte glauben können, es sei nicht mehr nötig, Abstand zu halten oder sich impfen zu lassen. Ein Blick nach Europa legt nahe, dass die Impfbereitschaft entscheidend ist. Der EU-Beste Spanien hat eine Sieben-Tage-Inzidenz von 46, über 80 Prozent der Bevölkerung sind vollständig immunisiert. Anders das EU-Schlusslicht Slowenien: Sieben-Tage-Inzidenz 1.066, Impfquote unter 55 Prozent. Deutschland holt auf: Neuinfektionen 302,9, Impfquote 67,53 Prozent (Daten Robert-Koch-Institut/RKI, Stand 15.11.2021).

Noch Mitte Oktober 2021 schwurbelte Schauspieler Jan Josef Liefers bei "Illner" vom Ende der Corona-Pandemie. Screenshot: zdf.de

"Momentan erleben wir ja wirklich eine Tyrannei der Ungeimpften, die über zwei Drittel der Geimpften bestimmen und uns diese ganzen Maßnahmen oktroyieren", stellte der Weltärztebund-Vorsitzende, Frank Ulrich Montgomery, die Ungeimpften kürzlich im ARD-Talk "Anne Will" an den Pranger. Der Publizist Henrik Wieduwilt beklagte, dass "wir Geiseln der Corona-Schwurbler" seien. Auch Peter Dabrock, Theologe und ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, zeigte kaum noch Verständnis für Impfverweigerer: "Die Grenzen der finanziellen Solidarität sind irgendwann erreicht", sagte er vor einem Monat im Sender ntv.

Dabrock meinte damals die umstrittene Entscheidung, Gratis-Schnelltests abzuschaffen – was für Ungeimpfte das Kino- und Essengehen zum kostspieligen Vergnügen machte. Zwischen 12 und 25 Euro verlangten Testcenter seither für einen negativen Antigen-Nachweis. Andererseits: Geimpfte finanzieren das schnelle Freitesten Ungeimpfter mit. Das sind keineswegs Peanuts: Im Laufe der Pandemie bezahlte der Bund bislang über 6,1 Milliarden Euro für Corona-Tests, heißt es auf eine POlitoGO-Anfrage.

Doch das ist nur die Spitze eines Kosteneisbergs, den niedrige Impfquoten erzeugen. Zwingt Corona Betroffene ins Krankenhaus, geht dies ins Geld. Nach Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) kostet die stationäre Behandlung einer Covid-19-Erkrankung durchschnittlich 10.200 Euro. Müssen Patienten künstlich beatmet werden, wird es richtig teuer: 34.200 Euro stellen die Kliniken im Schnitt dafür in Rechnung. Eingeflossen in die Auswertung des WIdO sind 182.000 Fälle, die zwischen dem 1. März 2020 und dem 31. Mai diesen Jahres im Krankenhaus mit oder wegen Covid-19 aufgenommen wurden.

"Aufgrund der zum Teil schweren Krankheitsverläufe können die Abweichungen im Einzelfall beträchtlich sein", betont AOK-Sprecherin Ines Klut. So schlagen die zehn Prozent der beatmungspflichtigen Patienten mit den höchsten Kosten mit jeweils über 77.000 Euro zu Buche. Teuer wird es auch, wenn Kliniken Eingriffe verschieben und Intensivbetten als Reserve freihalten. Rund 5,4 Milliarden Euro erstattete der Bund den Krankenhäusern in den vorangegangenen Pandemie-Wellen für Einnahmeausfälle. Noch unklar ist, welche Belastungen durch Long-Covid auf das Gesundheitssystem zukommen.

Geimpfte trifft es weniger hart

Geschätzte Impfeffektivität, zitiert aus dem RKI-Wochenbericht für den Zeitraum 11.10. bis 7.11.2021:
Schutz vor Hospitalisierung: ca. 88 % (18–59 Jahre) bzw. ca. 85 % (≥60 Jahre)
Schutz vor Behandlung auf Intensivstation: ca. 93 % (18–59 Jahre) bzw. ca. 90 % (≥60 Jahre)
Schutz vor Tod: ca. 92 % (18–59 Jahre) bzw. ca. 87 % (≥60 Jahre)

Zum Vergleich: Zwei Dosen des mRNA-Impfstoffs von Biontech kosten rund 50 Euro. Für den Betrieb der Impfzentren, die Vergütung der Impfärzte und die Zertifikatausstellung bezahlte der Bund bislang rund 2,97 Milliarden Euro. Derzeit sind hierzulande 56,2 Millionen Menschen voll geimpft. Im Schnitt kostete die Immunisierung pro Person also rund 100 Euro.

Schon heute schafft es die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten nicht, die finanziellen Folgen von Covid-19 zu stemmen. "Die Pandemie hat auch im 1. Halbjahr 2021 die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich geprägt", sagt Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Den Einnahmen von 138,4 Milliarden Euro standen Ausgaben von 140,3 Milliarden Euro gegenüber. Die 103 gesetzlichen Krankenkassen verbuchten ein Defizit von 1,9 Milliarden Euro. Das zwang das Bundeskabinett, eine dicke Milliardenspritze am Gesundheitsfonds anzusetzen, damit die Beiträge im kommenden Jahr stabil bleiben. In 2022 steigt der Bundeszuschuss an die Kassen auf 28,5 Milliarden Euro. In diesem Jahr flossen "nur" 19,5 Milliarden Euro an Steuermitteln in den Fonds, aus dem sich die Krankenkassen finanzieren.

Die Zahlen lassen nur einen Schluss zu: Impfverweigerer kosten im Krankheitsfall die Gesellschaft viel Geld. Vor diesem Hintergrund werden die Rufe nach Konsequenzen lauter. Die freie Impfentscheidung sei "ethisch fragwürdig und ordnungspolitisch verfehlt", schrieb kürzlich Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), in der "Welt" – und verwies auf das "Schutzinteresse der gesamten Solidargemeinschaft". Die Konsequenzen, so Hüther weiter, "die aus der Entscheidung gegen eine Impfung resultieren, können sehr wohl den Individuen zugeordnet werden – beispielsweise über höhere Versicherungsbeiträge für Ungeimpfte oder Selbstbehalte".

Doch halt, was ist mit den Impfdurchbrüchen? Anders als aktuelle Diskussionen oft suggerieren, schützt eine Immunisierung noch immer weitgehend davor, auf der Intensivstation oder dem Friedhof zu landen. Das zeigt das Durchbruchs-Monitoring des RKI, das seit Beginn der Covid-19-Impfkampagne hierzulande läuft. Die Zahlen verdeutlichen: Der Großteil der seit Februar übermittelten Covid-19-Fälle in Krankenhausbehandlung war ungeimpft. Allerdings ist der Anteil der wahrscheinlichen Impfdurchbrüche zuletzt deutlich gestiegen. In der Altersgruppe von 60 Jahre und älter waren in den vergangenen vier Wochen über 60 Prozent der erfassten Covid-19-Infektionen wahrscheinlich Impfdurchbrüche.

Von den 76.327 erfassten Covid-19-Erkrankten, die zwischen Anfang Februar bis Stand 10.11.2021 in ein Krankenhaus eingeliefert wurden und deren Impfstatus erfasst ist, waren 7.704 vollständig geimpft – bei 10,1 Prozent der Fälle gab es also einen Impfdurchbruch. Von den 10.618 Covid-19-Fällen auf Intensivstationen wurden 922 Impfdurchbrüche festgestellt (8,7 Prozent). Unter den 13.054 verstorbenen Covid-19-Fällen waren 1.393 Fälle mit vollständiger Impfung (10,7 Prozent). Von den Verstorbenen mit Impfdurchbrüchen waren 995 (71 Prozent) 80 Jahre und älter. Das spiegelt das generell höhere Sterberisiko – unabhängig von der Wirksamkeit der Impfstoffe – für diese Altersgruppe wider, so das RKI.

"Dieser Anteil muss jedoch in Zusammenschau mit der erreichten hohen Impfquote in dieser Altersgruppe interpretiert werden", betont das Institut. Durch den Vergleich des Anteils vollständig Geimpfter unter Covid-19-Fällen mit dem Anteil vollständig Geimpfter in der Bevölkerung ist es möglich, die Wirksamkeit der Impfung grob abzuschätzen (Screening-Methode nach Farrington). Nach dieser Methode liegt die sogenannte Impfeffektivität über den gesamten Betrachtungszeitraum derzeit für die Altersgruppe 18 bis 59 Jahre bei etwa 82 Prozent. In der Altersgruppe 60 Jahre oder älter bei rund 80 Prozent.

Für den Zeitraum der letzten vier Wochen (41. bis 44. Kalenderwoche) liegt die geschätzte Impfeffektivität für die Altersgruppe 18 bis 59 Jahre und für die Altersgruppe 60 Jahre oder älter bei etwa 72 Prozent. Hochwirksam schützt eine Impfung jedoch weiter vor schweren Erkrankungen. Weil die Wirksamkeit der Impfstoffe im Laufe der Zeit abnimmt, raten Experten zur Booster-Impfung.
Dieser Text erschien am 17.11.2021 in Kontext:Wochenzeitung



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