Pure Unvernunft

Veröffentlicht von info@politogo.de in Energie · 14 August 2020
Tags: WindenergieInfrastrukturbescheunigungsgesetzVernunftkraftKretschmann
Es ist ein Gesetzesvorhaben mit bürokratischem Namen: Investitionsbeschleungigungsgesetz, kurz: InvBeschlG. Federführend aufgelegt hat es Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), um vor allem große Infrastrukturprojekte im Verkehrsbereich zügiger planen, genehmigen und letztlich realisieren zu können. Denn oftmals stehen die benötigten Mittel längst bereit, mit den Bauarbeiten kann aber nicht begonnen werden, entweder weil Genehmigungsverfahren noch nicht abgeschlossen sind. Oder auch weil anhängige Klagen den Baustart verhindern.

I
m Energiebereich soll das Gesetz vor allem den Bau von Windenergieanlagen beschleunigen, deren Zubau zuletzt dramatisch eingebrochen war. Neben zeit- und kostenaufwendigen Genehmigungsverfahren sorgten vor allem Klagen von Windkraftgegner dafür, dass viele geplante Anlagen in jahrelangen Rechtsstreiten mit ungewissem Ausgang feststecken. Mit dem am 12. August 2020 vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzesentwurf entfällt bei Klagen gegen die Zulassung die sogenannte aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage, mit der Windenergiegegner die Realisierung von Windparks oder Einzelrotoren relativ einfach auf Jahre bis zu einem höchstrichterlichen Urteil blockieren konnten.

Dementsprechend heftig bekämpfen Windkraftgegner bundesweit das Gesetzesvorhaben. Der baden-württembergische Ableger von "Vernunftkraft", dem Dachverband der Anti-Windkraft-Initiativen hierzulande, hofft dabei ausgerechnet auf Unterstützung durch Winfried Kretschmann, wie aus einem Schreiben des Landesverbands hervorgeht, das PolitoGo.de vorliegt. Der baden-württembergische Ministerpräsident (Grüne) gilt allerdings als Befürworter der klimafreundlichen Windenergie. In ihrem Schreiben versuchen die "Vernunftkraft"-Landesvorsitzende Gerti Stiefel den Regierungschef dazu zu bewegen, über den Bundesrat zu Änderungen im Gesetz zu kommen. Insbesondere der Wegfall der aufschiebenden Wirkung ist den "Vernunftkraft"-Funktionären ein Dorn im Auge. Der entsprechende Paragraf soll aus dem Gesetz verschwinden, fordern sie.

Als Begründung führt das Schreiben altbekannte - und bereits stets als halb- oder unwahr widerlegte - Behauptungen an. So sei Windenergie schuld an den "höchsten Strompreisen der Welt" hierzulande. Ebenso hebt es auf die Versorgungssicherheit ab, die angeblich "mit jeder Windkraftanlage und jedem Solarmodul weiter sinken" werde. Einfach machen es sich die Verfasser spätestens bei dem "Argument", dass Deutschland mit dem EEG das angeblich teuerste Instrument der CO2-Vermeidung weltweit habe, wobei jedoch "jegliche Beweise fehlen, ob CO2 überhaupt damit reduziert wird". Die Verfasser spielen offenbar darauf an, dass der Siegeszug der Erneuerbaren Energien hierzulande zu einem Preisverfall der CO2-Emissionszertifikate in Europa führte, was wiederum die Stromerzeugung durch schmutzige Kohlekraftwerke im europäischen Ausland begünstigte. Dabei kann die im Jahr 2000 in Deutschland eingeführte gesetzlich garantierte Einspeisevergütung nicht isoliert von anderen Regulatorien auf dem europäischen Energiemarkt gesehen werden, wie beispielhaft in einem taz-Beitrag dargestellt wird.
Den Boden der Tatsachen verlassen die Briefeschreiber aber spätestens mit der Behauptung, dass auch Beweise fehlen, "ob Kohlendioxid schadet". Schließlich werde "Kohlensäure sogar getrunken".

Angesichts der aktuellen Hitzewelle reichlich realitätsfremd klingt auch die Behauptung der Windkraftgegner, wonach man mit Windenergie "unsere Wälder opfert" und selbst in ökologisch und landschaftlich hochsensible Bereiche eindringe und "damit unsere natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet". Tatsächlich gefährden extreme Dürre- und Hitzeperioden die heimischen Wälder und immer mehr auch die landwirtschaftliche Produktion - und nicht der Bau von Windroten. So
konnten sich Schädlinge wie der Borkenkäfer in bereits durch Trockestress geschwächten Bäumen in jüngster Zeit besonders schnell vermehren und dann zu einer Population anwachsen, die gefährlich für den Waldbestand werden kann. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) aktuell mitteilt, wurde 2019 mit 32 Millionen Kubikmetern fast dreimal so viel Schadholz aufgrund von Insektenschäden eingeschlagen wie im Vorjahr mit 11 Millionen Kubikmetern. Im Jahr 2017 waren es noch 6 Millionen Kubikmeter.

Niederschlagsarm, sonnenreich und heiß – in den vergangenen Jahren verzeichnete der Deutsche Wetterdienst außergewöhnlich warmes und trockenes Wetter. Waldschäden entstanden aber nicht nur durch Dürre, sondern unter anderem auch durch Stürme, Brände, Schneebruch, sowie Krankheits- und Pilzbefall. Mit knapp 68 % war der Anteil des Schadholzeinschlags am gesamten Holzeinschlag im Jahr 2019 mehr als dreimal so hoch wie im Jahr 2010 mit 19,7 %. Im Jahr 2019 wurden 46 Millionen Kubikmeter Schadholz geschlagen. Der Holzeinschlag insgesamt betrug im vergangenen Jahr 68 Millionen Kubikmeter, im Jahr 2010 waren es 54 Millionen Kubikmeter.
Werden Bäume mit zu wenig Wasser versorgt, fällt der Druck ab, mit dem das Wasser von den Wurzeln in die Kronen transportiert wird. Hängende Blätter sind ein erstes Anzeichen dafür. Kritisch wird es, wenn die Bäume ihre Blätter, Früchte oder sogar Äste abwerfen und ihre Kronen dadurch lichter werden. Der Anteil von Bäumen mit deutlichen Kronenverlichtungen stieg laut der Waldzustandserhebung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft im Jahr 2019 auf 36 % (2018: 29 %). Für einen Großteil der Bäume (42 %) wurde eine schwache Verlichtung der Baumkrone festgestellt. Nur rund ein Fünftel der Bäume (22 %) zeigte demnach im vergangenen Jahr keine Kronenverlichtung.
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